Seit einigen Jahren gibt es EU-Bemühungen der Küstenstaaten wie Frankreich, Deutschland, Dänemark oder den Niederlanden, salzresistente Kräuter und Gemüse weltweit besser zu vermarkten und überhaupt bekannt zu machen. Ein Thema ist der weltweite Klimawandel und vor allem die daraus resultierende Versalzung. Pflanzen von der Meeresküste und aus den Salzwiesen in Menschen-Obhut kommen mit Extremen wie sintflutartigem Starkregen oder Dürreperioden viel besser zurecht als konventionelle Kulturen. Hier besteht eine neue Chance für das Binnenland.
Andreas Frädrich hat ein Stück Meereslandschaft in einer 1000 m2 großen Versuchsparzelle als extensive Dachbegrünung mit Nutzpflanzen exportiert, wie mit einem Raumschiff aus der franz. Komödie „La soupe aux choux“: Aber nicht etwa auf einen anderen Planeten, sondern mitten in der Großstadt Berlin als Farm-to-table-Projekt. Der Meeresdachgarten befindet im 6.Stock auf einem Industriekomplex. Also schon etwas ungewöhnlich. Diese Suppe könnte auch recht salzig werden. Hier im „Himmel von Berlin“ musste der extreme Garten in den 2019 mit äußerst wenig Wasser, fast kein Dünger und über 40° Grad Celsius zurecht kommen (bereits drei auffällige Hitzewellen)– neue Rekorde in der Wetteraufzeichnung – und der Garten hat es bislang außerordentlich gut verkraftet...
Der Anbau beliebter Gemüsesorten wie Paprika oder Tomaten als Dachgarten-Freilandkultur ist nicht nachhaltig - und ist auch wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig. Viele Urban-Farming-Projekte müssen sich aus der Sozialromantik befreien oder sind auch zu techniklastig und auch überhaupt nicht naturnah, erklärt Andreas Frädrich. Mit dem Meeres- Farm-to-Table Projekt will er auch die experimentierfreudige Spitzengastronomie ansprechen: Hier gibt es Meeresgemüse und Salzwiesenkräuter und das wie bei Karlson vom Dach. Frischer geht es nicht. Es ist schon verrückt ein Stück Küsten-Landschaft mitten in der Großstadt zu platzieren. Diese sturmgepeitschten, ausgedörrten und dann wieder überfluteten Pflanzen halten aber viel mehr aus als langweilige hochgezüchtete Pflanzenboliden. Und sie schmecken auch noch.
Einen weiteren Vorteil haben die Dächer hoch über Berlin-Lichterfelde auch noch: Hier oben gibt es weder Wildschweine, Maulwürfe, Wühlmäuse noch Kaninchen, die Schaden anrichten könnten. Gedüngt wird der nährstoffarme Dachgarten mit Seetang, der von der Strandreinigung stammt. Das Abfallprodukt aus dem Meer, für das es sonst keine Verwendung gibt, wird so zu hochwertigem Meereskompost aufgewertet. Ein interessanter Nebeneffekt: viele Plastikteile werden beim Beach-Clean manuell aussortiert und fachgerecht entsorgt.
Unter Extrembedingungen gedeihen in unserem Modellprojekt kulinarisch außergewöhnliche Salzwiesenkräuter wie Lamsoren, Meerfenchel, Austernpflanze, Agretti, Salzmelde oder Salicorne mitten in der Großstadt: Zudem erweisen sich Blütenpflanzen wie Hauhechel, Hornmohn, Salz-Alant oder Strandlevkoje als bienenfreundlich. Eine Vielzahl unserer Kulturpflanzen, speziell Gemüsearten wie Kohlarten oder Rucola stammen ursprünglich aus Küstenregionen. Einige Urahnen moderner Kultursorten entdeckt man jetzt auch hier auf dem Dachgarten. Was unsere Vorfahren an diesen salzverträglichen Pflanzen so anziehend fanden, sind Eigenschaften, die auch die Wildkräuter aus dem schmalen Lebensraum zwischen Küste und Meer sogar für die Sterneküche interessant macht: Die Blätter vieler Strandkräuter sind oft fleischig, zart, saftig und mit einer ganz eigenen dezenten Salznote.
Andreas Frädrich hat ein umfangreiches Wissen und Rezepte über längst vergessene Ur-Gemüsesorten und Kräuter von der Küste zusammengetragen. Ein Schwerpunkt ist die Entwicklung von verganem Seafood. Ein weitere Versuchsparzelle beschäftigt sich mit Brackwasser-Aquaponik. Die dritte Abteilung mit salztoleranten Exoten zu Fisch & Fleisch.
Vervollständigt wird der „schwebende Meeresgarten über den Himmel Berlins“ durch eine salztolerante Kartoffelsorte aus den Niederlanden („Miss Mignonne“), die bereits seit einigen Jahren weltweit getestet wird, beispielsweise auf versalzten Ödflächen Pakistans. Täglich versalzen weltweit 2000 Hektar Land am Tag, fatalerweise vor allem in Gebieten mit künstlicher Bewässerung – das alles verstärkt durch die Folgen des Klimawandels.
Der Kartoffelanbau auf dem Goerzwerkdach erfolgt dabei nach dem Prinzip der Chinesischen Kartoffelkiste, einem uraltem Anbauverfahren. Mehr Artenvielfalt im Nutzpflanzenanbau ist dringend nötig, meint Frädrich. Ergänzt wird das Projekt mit einer Brackwasser-Aquaponik-Anlage, die mit Chinesischen Wollhandkrabben besetzt ist – einer invasiven Art, die eine besondere Delikatesse ist. Das Abwasser mit leichtem Salzgehalt wird zur Bewässerung und Düngung unseres Meeresdachgartens benutzt und so wieder einem Kreislauf zugefügt.
Unternehmer erzeugt Kräuter auf einem Berliner Dach - Bericht in der "Berliner Morgenpost"
Continue ReadingAuf einem Dachgarten wachsen widerstandsfähige Pflanzen, die dem Klimawandel voraus sind - Report in der "Zitty Berlin "
Continue ReadingEin Stück Ostsee und Nordsee mitten in Berlin (Radio B2)
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